Vom Bunker zum Broadcast: Wie Techno‑Radio den Untergrund eroberte
Vom Tresor-Keller bis DAB+, von Piratenwellen bis Abo-Streams: Techno‑Radios zwischen Subkultur und Kommerz – Geschichte, Technik, Lizenzen, Debatte.
Vom Tresor zur Frequenz: Techno zwischen Subkultur und Airplay
Techno, einst als raue Antwort auf die Deindustrialisierung Detroits geboren, fand im Berlin der frühen 1990er seinen ideellen Resonanzraum – in Off‑Spaces, improvisierten Kellern und einem Club, der die Szene-Mythologie prägte: Tresor, buchstäblich ein ehemaliger Wertheim-Tresorraum, dessen Bunker‑Anmutung zum Sinnbild für Härte, Reduktion und kollektive Ekstase wurde. Von dort sprang der Funke auf Mixtapes, Mitschnitte und – entscheidend – ins Radio. Während im Vereinigten Königreich Piratenradios seit den 1960ern neue Musik durch die regulatorischen Ritzen schmuggelten, katalysierten sie in den 1980/90ern die Verbreitung von Jungle, Garage, Grime und frühen Techno‑Sounds; Dachtransmitter, Dubplates, Community‑Netzwerke – Radio als Echokammer des Clublebens. In den 1990ern professionalisierte BBC Radio 1 mit dem Essential Mix die Kanonbildung: ein wöchentliches, zweistündiges DJ‑Set, dokumentiert, archiviert, erinnerbar. In Deutschland markierte sunshine live die Genre‑Spezialisierung auf elektronischen Sound und erweiterte via DAB+/Web die Reichweite. Mit Webradio setzte sich die technische Schicht durch: Icecast/SHOUTcast, MP3/AAC/Ogg/Opus – und ein Rechtsrahmen aus GEMA/GVL. Heute stehen kuratierte 24/7‑Channels (DI.FM) neben Leitformaten und Apps; monetär verschiebt sich das Feld zu Abo‑Modellen – und damit zur alten Frage: Wieviel Untergrund bleibt übrig, wenn das Radio den Keller sendefähig macht?
Der lange Weg ins Hauptprogramm
Detroit erfand, Berlin entfaltete: Der transatlantische Austausch – von Underground Resistance bis Tresor Records – legte nicht nur klangliche Koordinaten fest, er formte eine Ethik der Nacht: Egalität, Härte, Repetition, Raum als Instrument. Radios nahmen früh die Rolle der Übersetzer ein, als Brücke zwischen Nischen und Massenpublikum. In UK machten Piratenwellen das Vorhören zur Gewohnheit, brachten exklusive Dubplates ins Wohnzimmer und setzten neue Styles frei; das war nicht nur Verbreitung, sondern Validierung. Später trug die BBC das Prinzip ins Archiv: Essential Mix als wöchentliches Register dessen, was Clubmusik war, ist und sein könnte – stiloffen, aber kuratiert. In Deutschland profilierte sich sunshine live mit Techno‑Slots, DJ‑Formaten und Multiplattform‑Präsenz: UKW‑Restflächen, DAB+‑Multiplex, Web und Apps. Parallel professionalisierte sich das Webradio‑Ökosystem: Icecast als Open‑Source‑Rückgrat, SHOUTcast als frühe Kommerz‑Implementierung; Metadaten, HLS/ICY, Protokollrobustheit. Die Monetarisierung wanderte von Sponsoring und Spot‑Sales in Richtung Abos; DI.FM, einst Pionier für kuratierte Genre‑Kanäle, schaltete Ende 2024 die Gratis‑Option ab – ein Marktsignal. Zwischen Urheberrechten (GEMA) und Leistungsschutz (GVL), zwischen Geoblocking und Portabilität, zwischen Algorithmus und menschlicher Kuratierung verhandeln Techno‑Radios heute ihre Identität neu. Die Spannung bleibt: Radios, die einst das Geheimnis verbreiteten, müssen das Geheimnis bewahren – oder sie werden zum austauschbaren Soundteppich im Mainstream.
Weiterführende Links
- Essential Mix Timeline (Die Geschichte des BBC‑Leitformats von 1993 bis heute mit Highlights und Kuratorenblick)
https://www.bbc.co.uk/radio1/essentialmix/essentialmix500/ - sunshine live Sendeplan (Aktuelle Programmübersicht mit Techno‑Slots, DJ‑Shows und Spezialformaten)
https://www.sunshine-live.de/programm/sendeplan - DI.FM Channels (Kuratierte 24/7‑Genre‑Kanäle von Techno bis Trance mit Programmübersicht)
https://www.di.fm/channels - Tresor Foundation – Geschichte (Historie des legendären Berliner Clubs und seiner kulturellen Prägung)
https://tresor.foundation/geschichte/ - Goethe‑Institut: Techno in Deutschland (Kulturgeschichtliche Einordnung von Detroit bis Berlin)
https://www.goethe.de/ins/ca/en/kul/kue/tkl/22933101.html
Basis‑Infos
- Detroit nach Berlin: Techno gelangte über künstlerische Netzwerke in die Nachwende‑Hauptstadt; Clubs wie Tresor (ehemaliger Vault) prägten Sound, Ästhetik und internationale Allianzen (u. a. Detroit–Berlin).
- Piratenradio UK: Seit den 1960ern Motor für neue Musik; in den 80/90ern Plattform für Jungle, UK Garage, Grime und frühe elektronische Stile; DIY‑Infrastruktur mit Dachtransmittern und Dubplates.
- BBC Essential Mix: Seit 1993 wöchentliche, zweistündige Mixshow; moderiert von Pete Tong; prägend für Kanonbildung und Archivierung elektronischer Clubmusik.
- sunshine live: Deutscher Sender mit Fokus auf elektronische Musik; Reichweite via DAB+, Web und Apps; spezialisierte Techno‑Formate und DJ‑Slots.
- DI.FM: Multi‑Channel‑Webradio für elektronische Genres; kuratierte 24/7‑Kanäle; seit Ende 2024 Wechsel zu einem reinen Abo‑Modell.
- Streaming‑Stack: Icecast/SHOUTcast verbreiten MP3/AAC/Ogg/Opus über HTTP/ICY; Metadaten‑Tags ermöglichen Trackinfos; Multi‑Channel‑Betrieb üblich.
- Lizenzen DE: GEMA für Urheberrechte, GVL für Leistungsschutzrechte; Tarife nach Musikanteil, Reichweite, Einnahmen; Compliance‑Vorgaben u. a. gegen programmatische Vorschau und für Metadatenübermittlung.
- Distribution: Webplayer, Apps, DAB+‑Simulcast und Aggregatoren; Social‑Formate, Live‑Streams und Gewinnspiele für Community‑Aufbau.
Tipps
- Sender starten: Zuerst Rechte klären (GEMA/GVL), Zielterritorien planen (Geoblocking, Portabilität), dann Infrastruktur wählen (Icecast/SHOUTcast, Transcoder, Monitoring). Für Startups sind Open‑Source‑Stacks plus managed Hosting oft die robusteste Kombination.
- Kuratieren statt nur senden: Ein klarer Genre‑Fokus, wiedererkennbare Slots und gepflegte Archivinhalte erhöhen Bindung. Leitmotiv: Menschliche Kuratierung, transparentes Programm, wiederkehrende „Momente“ (Live‑Mix, Takeover, Themen‑Nacht).
- Compliance als Feature: Metadaten lückenlos liefern, keine konkreten Track‑Vorschauen, Limits für Künstler/Album‑Dichte beachten, Logs bereit halten. Das schafft nicht nur Rechtssicherheit, sondern auch Vertrauen bei Labels und Artists.
- Monetarisierung steuern: Testet Freemium‑Trichter, aber plant frühzeitig Abo‑Mehrwerte (werbefreie Streams, höhere Bitrates, exklusive Kanäle, Community‑Zugang). Sponsoring lieber redaktionell integrieren als massenhaft Spots ausspielen.
- Reichweite smart ausbauen: Apps und DAB+ als Discovery‑Kanäle, Social‑Clips nur als Teaser (keine Vollrechte), Live‑Momente mit Chat‑Interaktion, Playlisten auf externen Plattformen als Erinnerungsschleife.
- Messbar bleiben: KPI‑Triade aus Hördauer, Wiederkehrrate und Abo‑Conversion tracken; A/B‑Tests für Sendezeiten; Formatpflege nach tatsächlicher Nutzung, nicht nach Bauchgefühl.
Fakten
- Piratenradio in UK wurde durch das Marine Broadcasting Offences Act 1967 eingehegt, blieb aber in den 1980/90ern für Dance‑Genres prägend; später überführten legale Strukturen kuratierte Clubkultur ins Regelprogramm (z. B. BBC Essential Mix).
- In Deutschland benötigen Webradios GEMA‑Lizenzen (Urheberrechte) und GVL‑Lizenzen (Leistungsschutzrechte); Gebühren richten sich u. a. nach Einnahmen, Reichweite und Musikanteil; zusätzliche Betriebsvoraussetzungen regeln Vorschau, Trackdichte, Metadaten, und Anti‑Recording‑Maßnahmen.
- Webradio‑Standards: Icecast/SHOUTcast mit HTTP/ICY‑Transport; Formate wie MP3/AAC/Ogg/Opus; Multi‑Channel‑Betrieb gängig; Metadaten‑Compliance ist rechtlich wie nutzerseitig zentral.
- Monetarisierung: Der Markt verschiebt sich zu Abo‑Modellen; prominente Beispiele beenden Gratis‑Tiers zugunsten planbarer Erlöse und Lizenzkosten‑Deckung.
- Distribution: DAB+/Web/App‑Simulcast und Aggregatoren erhöhen Auffindbarkeit; Plattform‑Policies und Rechteportale (z. B. GEMA‑Onlineportal) standardisieren Skalierung und Compliance.
FAQ
Q: Wie beeinflussten Piratenradios in den 1980/90ern die Verbreitung von Dance‑Music und frühen Techno‑Sounds in UK?
A: Piratenradios stellten in UK die fehlende Infrastruktur für neue, clubgetriebene Musik bereit: Mit improvisierten Dachtransmittern und illegalen Frequenzen konnten Crews exklusive Dubplates und Pre‑Releases senden, die in kommerziellen Programmen keinen Platz fanden. Jungle, UK Garage, später Grime – die Sender waren Soundsysteme über Antenne: nah an Produzentennetzwerken, schnell, roh, community‑verankert. Diese Nähe erzeugte Szene‑Autorität und beschleunigte Trends, weil DJs nicht nur Tracks spielten, sondern sie im Stadtraum verorteten: Shout‑outs, Telefonnummern, Partylines, Clubnennungen. Wichtig war auch das Sozialsystem dahinter: Presswerke, Plattenläden, Studios bildeten mit den Radios eine zirkuläre Ökonomie. Obwohl der regulatorische Druck hoch blieb, schufen Piraten den Resonanzraum, aus dem spätere legale Formate die kuratorische Idee übernahmen. Radio war damit Katalysator, Filter und Archiv der clubkulturellen Gegenwart – ein Sound, der zuerst die Skyline besetzte und dann die Charts.
Q: Warum wurde Berlin nach 1989 zum Hotspot für Techno – und welche Rolle spielte der Tresor‑„Bunker“?
A: Nach der Wende trafen in Berlin Leerräume, Freiheitsversprechen und eine generationelle Utopie aufeinander. Off‑Spaces, Brachen, Keller – der Stadtkörper wurde Versuchslabor für neue soziale Formen, in denen Techno als egalitäres, körperliches, repetitives Ritual funktionierte. Der Tresor, in einem ehemaligen Kaufhaus‑Tresorraum, verdichtete diese Ästhetik: Beton, Dunkelheit, Minimalismus; der Club wurde Symbol und Studio zugleich. Hier formte sich eine Klangsignatur, die Härte mit Hypnose verband, und eine transatlantische Achse (Detroit–Berlin), die über Artists, Labels und Touren stabil wurde. Mitschnitte, Mixtapes und Radiosendungen trugen den Mythos in den Alltag. Diese Verbindung aus Raumästhetik, politischem Transformationsmoment und medialer Verstärkung erklärte, warum Berlin nicht nur Szene-Cluster, sondern globales Kultursignal wurde – der Ort, an dem der Untergrund sich organisiert, ohne seinen Kern preiszugeben.
Q: Welche Bedeutung hat die BBC Radio 1 Essential Mix für die Kanonbildung elektronischer Musik?
A: Der Essential Mix schuf eine verlässliche, wöchentliche Bühne, auf der DJs und Produzentinnen jenseits flüchtiger Clubnächte ihr ästhetisches Statement abgeben konnten – zwei Stunden, ununterbrochen, dokumentiert. Das Format kuratierte Vielfalt, nicht Konformität: von House bis Hardcore Continuum, von Ibiza‑Übertragungen bis Studio‑Konzeptmix. Wichtig ist sein Archivwert: Generationen von Hörerinnen konnten die Entwicklung von Sounds nachvollziehen, stilprägende Sets wurden Bezugspunkte (etwa Oakenfolds Goa Mix). Zugleich demokratisierte das Radio das Live‑Gefühl, indem es Clubmusik in Haushalte beamte und so das Feld zwischen Boutique‑Szene und Massenpublikum codierte. In Summe wirkt der Essential Mix als lebendes Gedächtnis und als Gatekeeper mit Reputation: Wer dort spielt, tritt in einen Kanon ein – mit Konsequenzen für Bookings, Labels, Festivals und letztlich für die Geschichtsschreibung elektronischer Musik.
Q: Was unterscheidet sunshine live als Techno‑Sender von klassischen UKW‑Popstationen in Programm und Formaten?
A: sunshine live ist kein Chart‑Durchlauferhitzer, sondern ein genre‑zentriertes Klangökosystem: Techno, House, Trance und spezialisierte Slots, kuratiert von Szenekennern und DJs. Statt Tagesbegleitung mit Talk‑Lastigkeit stehen Mixshows, Line‑ups und thematische Strecken im Fokus, ergänzt durch Multi‑Channel‑Streams und Sondersendungen. Durch DAB+‑Bundesmux, Web und Apps ist die Empfangssituation hybrid, nicht auf lokale UKW‑Nischen beschränkt; das erlaubt tiefe Subgenre‑Pflege ohne Quotenpanik. Kooperationen mit Artists, Club‑Events und Live‑Sessions schaffen Authentizität, die klassischen Popwellen oft fehlt. Gleichzeitig nutzt der Sender moderne Discovery‑Pfade: Apps, Social‑Teaser, Podcasts – aber als Zubringer zum Kernprogramm. Kurz: Statt austauschbarer Rotation bietet sunshine live eine kuratorische Identität, die die Clubkultur ernst nimmt und deren Energie sendefähig macht, ohne sie auf „EDM‑Hintergrund“ zu glätten.
Q: Wie funktionieren SHOUTcast und Icecast technisch – und warum sind sie im Webradio so verbreitet?
A: SHOUTcast (ursprünglich Nullsoft/AOL) und Icecast (Xiph.org, Open Source) sind Server‑Software, die Audiostreams über HTTP/ICY ausliefern und Metadaten wie Titel/Artist in laufende Streams injizieren. Source‑Clients (Encoder) schicken komprimierte Audiodaten – klassisch MP3/AAC, bei Icecast auch Ogg/Opus – an den Server, der an Hörerinnen verteilt. Vorteile: Robustheit über das Web, einfache Skalierung via Relays, breite Player‑Kompatibilität, kostengünstiger Betrieb und ein Ökosystem aus Tools (Transcoder, Auto‑DJ, Analytics). Für Radios bedeuten sie niedrige Eintrittsbarrieren, hohe Verfügbarkeit und Flexibilität für Multi‑Channel‑Setups. Icecast punktet mit Offenheit und Formatvielfalt; SHOUTcast mit einfacher Integration und historischer Verbreitung. In Compliance‑Kontexten sind Metadaten‑Zuverlässigkeit, Logging und Latenzkontrolle wichtig – all das unterstützen beide Stacks. Kurz: Sie sind das unsichtbare Rückgrat, das Nischenkultur global hörbar macht.
Q: Welche GEMA‑ und GVL‑Lizenzen benötigen Webradios in Deutschland konkret?
A: Für ein deutsches Webradio sind zwei Lizenzstränge Pflicht: GEMA (Urheberrechte der Komponistinnen, Textautoren, Verlage) und GVL (Leistungsschutzrechte der ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller). Die GEMA bietet ein Online‑Portal, über das nicht‑interaktive, lineare Webradios mit Kriterien wie Musikanteil, Einnahmen (z. B. bis 430 € netto/Monat in einer Tarifschiene) und Reichweite (unique User pro Tag) lizenzierbar sind. Die GVL unterscheidet zwischen kommerziellen und nichtkommerziellen Webradios und verlangt umfangreiche Angaben zu Kosten, Erlösen und technischen Betriebsvoraussetzungen. Zusätzlich bestehen Betriebspflichten: keine detaillierten Programmvorschauen mit Tracklisten, Grenzen für Album-/Künstlerdichte pro Zeitfenster, Metadaten‑Übermittlung, Maßnahmen gegen Mitschnitt/Scanning, Geoblocking gemäß Lizenzgebiet und kein unautorisiertes Bootleg‑Material. Wer cross‑border hörbar sein will, benötigt Multi‑Territoriumslizenzen. Empfehlung: Frühzeitig Rechte‑Scope, Länderziel und Technik (Logs, Metadaten, Geo‑Kontrollen) auf Compliance ausrichten.
Q: Wie wirken Abo‑Modelle und Rechte‑Deals (z. B. SoundExchange) auf die Nachhaltigkeit von Webradios?
A: Webradios stehen zwischen kuratorischem Anspruch und harten Fixkosten: Bandbreite, Technik, Redaktion – vor allem aber Rechtevergütung. Werbefinanzierung leidet bei Nischengenres an begrenzten CPMs und Fragmentierung; dazu kommen Ad‑Blocker und die Erwartung an werbearme Hörerlebnisse. Abo‑Modelle schaffen planbare Erlösströme, die Lizenzkosten decken helfen, und belohnen Tiefe (mehr Channels, höhere Bitrate, exklusive Shows). Historisch sind Deals mit Verwertungsgesellschaften wie SoundExchange (USA) zentrale Stabilisatoren, indem sie Kalkulierbarkeit in die Vergütung bringen. Der Wechsel von etablierten Anbietern zu „Subscription‑Only“ zeigt den Branchentrend: Weniger Gratis, mehr Wertversprechen. Nachhaltig wird es, wenn Abos nicht nur Werbefreiheit, sondern echte Mehrwerte liefern: redaktionelle Kuratierung, Community‑Zugang, Archiv, Interaktion. So entsteht Loyalität, die Preissensitivität abfedert und künstlerisch anspruchsvolle Programme finanzierbar macht.
Q: Wo verläuft die Grenze zwischen Szene‑Authentizität und Kommerzialisierung im Radiokontext?
A: Authentizität im Techno‑Radio bedeutet mehr als „harter“ Sound: Sie meint Haltung. Keine extraktive Verwertung der Szene, sondern Teilhabe und Rückfluss – an Artists, Labels, Community. Die Grenze ist dort erreicht, wo Formate ihre kuratorische Integrität zugunsten kalkulierter Massenkompatibilität aufgeben und Radio zum bloßen Ambient‑Hintergrund verflacht. Gegenmittel sind Transparenz (wie und warum wird kuratiert?), Rotationsdisziplin (auch Unbequemes spielen), faire Rechte‑ und Honorarmodelle sowie enge Verbindung zur Clubrealität (Residencies, Live‑Mitschnitte mit Einverständnis, Nachwuchs‑Slots). Kommerz ist nicht der Feind – er wird es erst, wenn er Inhalt ersetzt. Ein Radio, das die Szene stärkt, moderiert zwischen Underground und Reichweite, pflegt Archive und schafft neue Räume der Erinnerung. Dann wird Mainstreamisierung nicht Nivellierung, sondern Verstärkung dessen, was Techno groß gemacht hat: radikale Gemeinschaft im Takt.
Kritik
Die Verwertungskette des Radios ist für Techno Segen und Risiko zugleich. Segen, weil Archive, Kanäle und terrestrische/ digitale Plattformen Musik bewahren, zugänglich machen und geringer Sichtbarkeit entgegenwirken. Risiko, weil die Ökonomie der Dauerbeschallung den Ausnahmezustand der Nacht zur Tapete zähmt. Wenn Sender vor allem Verweildauer maximieren, geraten riskante, brüchige, dissonante Momente unter Druck – genau jene, die Techno als Kunstform lebendig halten. Die Herausforderung lautet: Radiologik ohne Algorithmus‑Gleichschritt, Kurationsmut statt Content‑Optimierung, Kanonpflege ohne Kanonisierung.
Die zweite Bruchstelle ist die Rechte‑Realität. Vergütungen sind moralisch und rechtlich nicht verhandelbar; sie sichern Kreativität. Doch kleinteilige Lizenzen, Territorien, Geoblocking und Regelwerke erzeugen Reibung, die Innovationskraft hemmen kann – vor allem bei kleinen Projekten. Hier braucht es institutionelle Intelligenz: Portale, die Komplexität reduzieren, und Modelle, die nicht‑kommerzielle Kulturarbeit ermöglichen. Sonst bleibt Radio den Großen vorbehalten – und Subkultur verliert ihren Resonanzraum. Kommerzialisierung ist akzeptabel, wenn sie kulturelle Infrastruktur querfinanziert, nicht wenn sie sie ersetzt.
Drittens die Frage nach Authentizität. Techno war nie nur Sound, sondern Gegenentwurf: Räume ohne Barrieren, Körper ohne Hierarchie. Radio kann diesen Ethos tragen, wenn es Communitys nicht als Märkte, sondern als Subjekte behandelt. Das heißt: Nachwuchs fördern, lokale Szenen hörbar machen, Diversität programmieren, faire Deals und transparente Verfahren pflegen. Radios, die den Club ernst nehmen, sind keine Ausbeuter, sondern Übersetzer. Wer dagegen Szeneästhetik als Verkaufsfolie benutzt, produziert nur Simulation. Die Wahl liegt bei den Sendern – und bei den Hörerinnen, die mit Einschaltimpulsen und Abos Haltung belohnen.
Fazit
Zwischen Stahlbeton und Sendemast hat Techno‑Radio eine erstaunliche Metamorphose vollzogen: Aus dem geheimen Puls der Nacht wurde eine vielfach dokumentierte, global verfügbare Klangkultur. Leitformate wie der Essential Mix, spezialisierte Sender wie sunshine live und kuratierte Multi‑Channel‑Netzwerke wie DI.FM zeigen, wie Radio Nischen sichtbar macht, Kanons formt und zugleich neue Räume der Erinnerung schafft. Die technische Schicht – Icecast/SHOUTcast, Metadaten, DAB+/Apps – hat den Sound skaliert; der juristische Rahmen – GEMA/GVL und internationale Pendants – macht ihn fair nutzbar. Ökonomisch drängt der Markt zum Abo, was Planungssicherheit schafft, aber die Zugangsfrage neu stellt. Die eigentliche Aufgabe bleibt kulturell: Authentizität gegen Flächenkompatibilität verteidigen, Community vor KPI, Kuratierung vor Algorithmus. Techno ist mehr als BPM; es ist eine soziale Praxis. Wenn Radio das anerkennt, kann es Brücke und Verstärker sein – nicht Schleifmaschine. Dann bleibt vom Bunker das, was zählt: der Resonanzraum einer Idee, die größer ist als jede Frequenz.
Quellen der Inspiration
- GEMA – Webradio: Tarif und Anmeldung (GEMA, laufend – Rechte, Kriterien und Online‑Lizenzportal für Webradios in Deutschland)
https://www.gema.de/de/musiknutzer/tarifuebersicht/webradio - GVL – Webradio und Ladenfunk (GVL, laufend – Leistungsschutzrechte, Betriebsvoraussetzungen und Länderliste)
https://gvl.de/rechtenutzerinnen/lizenzierung-durch-die-gvl/webradio-und-ladenfunk - BBC Radio 1 – Essential Mix Biography (BBC, laufend – Kontext, Historie und Bedeutung des Formats)
https://www.bbc.co.uk/radio1/essentialmix/biography.shtml - DI.FM – Wikipedia (Wikipedia, laufend – Senderprofil, Rechte‑Historie, Wechsel zum Abo‑Modell Ende 2024)
https://en.wikipedia.org/wiki/DI.FM - Pirate Radio in the United Kingdom (Wikipedia, laufend – Historische Rahmung, Gesetze und Kulturwirkung)
https://en.wikipedia.org/wiki/Pirate_radio_in_the_United_Kingdom - Icecast – Wikipedia (Wikipedia, laufend – Open‑Source‑Streaming‑Stack und Formate)
https://en.wikipedia.org/wiki/Icecast - Afropop: Locked On – A History of UK Dance in Radio Sets (Afropop Worldwide, 2023 – Oral History zu UK‑Piratenradio und Clubkultur)
https://afropop.org/articles/locked-on-a-history-of-uk-dance-in-radio-sets - NPR: Berlin’s Clubs, Techno, Berghain (NPR, 2022 – Kulturjournalistische Perspektive auf Berlin und Clubmythos)
https://www.npr.org/2022/09/23/1121435229/berlin-clubs-techno-berghain-kitkatclub






































































