Ben Sims | Boiler Room x Glitch Festival 2022
Stahlgroove unter Mittelmeerhimmel: Wie Ben Sims den Boiler-Room-Floor beim Glitch 2022 in Ekstase versetzte
Einleitung: Wenn Präzision auf Sommerrausch trifft
Es gibt DJ-Sets, die in Erinnerung bleiben, weil sie den Moment perfekt einfangen: die Energie des Publikums, die architektonische Kulisse, die akustische Feinabstimmung und die Handschrift eines Künstlers, der genau weiß, wie man Spannung aufbaut. Genau so ein Fall ist das Set von Ben Sims beim Boiler Room x Glitch Festival 2022 auf Malta. Der britische Techno-Veteran – seit Jahrzehnten berühmt für seine funkdurchtränkten, kompromisslosen Grooves – zeigte an diesem Sommerabend, wie man kompromisslose Härte mit federnder Leichtigkeit verheiratet. Unter freiem Himmel, mit dicht gedrängten Crowd-Reihen und der typischen 360-Grad-Kameraführung des Formats, entstand eine Stunde, die die DNA von Techno freilegt: Rhythmus, Wiederholung, Steigerung und kollektiver Rausch.
Kontext: Ben Sims und die bewegliche Tradition des Techno
Um die Faszination dieses Auftritts zu verstehen, hilft ein Blick auf die Tradition, auf die Ben Sims sich stützt. Techno ist mehr als nur ein strenger Vier-Viertel-Puls; es ist eine lebendige Kultur, die sich seit den Anfängen in [Detroit Techno](https://de.wikipedia.org/wiki/Detroit_Techno), über europäische Clubs bis in globale Festivalsettings ausgebreitet hat. Der Begriff [Techno](https://de.wikipedia.org/wiki/Techno) selbst steht für eine Ästhetik, in der Maschinen – Drumcomputer, Sampler, Sequenzer – zu Erzählern werden. Sims verkörpert diese Schule wie wenige: Er bevorzugt dichte, rollende Patterns, die an den Druck der [Roland TR-909](https://de.wikipedia.org/wiki/Roland_TR-909) erinnern, verschiebt Hi-Hats und Claps mikroskopisch und formt so Groove-Wellen, in die man förmlich hineingezogen wird. Seine Sets sind werkzeughaft und emotional zugleich, was im Rahmen eines Boiler-Room-Events besonders gut sichtbar wird.
Ort, Format und Stimmung: Boiler Room trifft Malta
Das [Boiler Room](https://en.wikipedia.org/wiki/Boiler_Room_(music_broadcaster))-Format ist seit Jahren eine Bühne, auf der intime Club-Momente und große Festivalenergie miteinander verschmelzen. Die Kamera im Rücken, das Publikum buchstäblich auf Tuchfühlung, keine abgehobene Distanz – stattdessen ein gemeinsamer Ring, in dem DJ und Tanzfläche kooperieren. Die Kulisse Malta – mediterranes Klima, Bordsteine aus hellem Kalkstein, salzige Luft vom Meer – verlieh dem Ganzen eine sonnendurchtränkte Leichtigkeit. Das Glitch Festival, mittlerweile ein Fixpunkt im europäischen Sommerkalender, ist für sein kuratiertes Line-up zwischen puristischem Techno und futuristischer Electronica bekannt. Hier passte Sims wie die Faust aufs Auge: Seine funktionale, aber niemals nüchterne Lesart von Techno entfaltete draußen, umgeben von der vibrierenden Menge, eine besonders visuelle und physische Qualität.
Die Dramaturgie: Von den ersten Kicks bis zum finalen Stoß
Der Spannungsbogen des Sets ist ein Musterbeispiel für moderne DJ-Erzählkunst. Sims beginnt nicht mit einem Paukenschlag, sondern mit souveräner, selbstbewusster Kontrolle über den Puls. Die Kicks sind trocken, die Percussion sitzt eng beieinander, die Bassfiguren rollen, ohne zu schwimmen. Nach und nach dreht er an Schrauben: kleine Filterfahrten, kurz aufgeblendete Riser, doppelte Snares, die ein Stück weiter nach vorne schieben. Das Ergebnis ist ein Zustand des „immer noch ein bisschen mehr“ – genau der Zustand, für den Techno-Abende geliebt werden. Dabei bleibt die Tonalität klar: düstere, metallische Elemente werden mit elastischen Grooves kontrastiert, sodass Härte nie in Monotonie kippt. Stattdessen öffnet sich immer wieder ein Fenster aus Funk, ein minimaler Shuffle, ein klackerndes Hi-Hat-Gerüst, das den Schritt der Tänzerinnen und Tänzer federnder macht.
Handwerk: Mixing, Flow und Mikroentscheidungen
Wesentlich für den Sog ist die Art, wie Sims Übergänge baut. Klassisches [Beatmatching](https://en.wikipedia.org/wiki/Beatmatching) und präzise EQ-Arbeit sorgen dafür, dass Layer nahtlos ineinandergreifen. Wo andere DJs lange Breakdowns einsetzen, bevorzugt Sims häufig den rollenden Crossfade: Der neue Track schiebt eine zusätzliche Groove-Schicht unter die bestehende, bis die alte sich fast unmerklich verflüchtigt. Dieses „Überblenden mit Absicht“ erzeugt Fluss und verhindert abrupte Brüche. Gleichzeitig nutzt er dynamische Akzente – kurze Cuts, Rücknahmen, punktgenaues Aufreißen der Höhen –, um das Publikum an den Kippmoment zu führen. Das ist Handwerk, das man hört, aber vor allem fühlt.
Publikum und Kamera: Der soziale Motor des Moments
Ein Boiler-Room-Set lebt von seiner sozialen Choreografie. Menschen stehen hinter und neben dem DJ, Smartphones leuchten, Hände zeichnen die Taktlinien in die Luft. Auf Malta wirkte das besonders dicht: Die Sonne war noch nicht ganz weg, das Blau des Himmels legte sich wie ein Filter über die Menge, die Kamerafahrten schnitten zwischen Close-ups der Hände am Mixer und weiten, vibrierenden Gruppen. Dass das Set so kraftvoll wahrgenommen wird, liegt auch an dieser Perspektive: Wir werden Teil des Kreises, kein Außen, kein Podest, sondern ein gemeinsamer Dancefloor. Dieser Blick ist zu einem Schlüsselmerkmal des Formats geworden – einer der Gründe, warum Boiler Room das Verständnis von Club- und [Rave](https://de.wikipedia.org/wiki/Rave)-Kultur im Internetzeitalter maßgeblich geprägt hat.
Einordnung: Geschichte, Gegenwart und Erwartung
Technokultur war immer Bewegung – eine globale Drift, die zwischen lokalen Szenen vibriert und sich permanent neu akzentuiert. Von [Electronic Dance Music](https://en.wikipedia.org/wiki/Electronic_dance_music)-Großbühnen bis zu Kellerclubs, von Afterhours bis zu Open-Air-Terrassen. Malta steht dabei auch sinnbildlich für die Ausweitung der europäischen Clubkultur: kleine Insel, große Namen, kurze Wege zwischen Strand und Dancefloor. Für Ben Sims ist das die ideale Leinwand, um seine kompromisslose, aber nie humorlose Lesart zu präsentieren. Er bedient die Puristinnen und Puristen, ohne die Unmittelbarkeit zu verlieren, die Festivalcrowds brauchen. Das erklärt, warum dieses Set lange nachhallt: Es zeigt Techno als Sprache, die gleichermaßen präzise und universell ist.
Fragen & Antworten zum DJ Set
Wie würdest du den musikalischen Stil des Sets beschreiben?
Druckvoller, funkig akzentuierter Techno mit hoher Dichte, schnellen Übergängen und minimalem Pathos – dafür maximaler Groove.
Was macht das Boiler-Room-Format hier besonders?
Die Nähe zwischen DJ und Crowd. Die 360-Grad-Perspektive lässt uns das Set aus der Mitte des Geschehens erleben und verstärkt die Energie.
Warum passt Malta als Location so gut?
Das mediterrane Ambiente und die Open-Air-Szenerie unterstreichen die körperliche Direktheit des Sounds – Sonne, Wind und Bass werden zur Einheit.
Ist das ein Set für Techno-Puristinnen und Einsteiger zugleich?
Ja. Die Struktur ist puristisch, aber die Grooves sind unmittelbar verständlich. Wer Techno liebt, hört die Feinheiten; Neugierige spüren sofort den Sog.
Gibt es große Breakdowns oder eher kontinuierlichen Druck?
Eher kontinuierlichen Druck. Sims baut Spannung über Layering und Mikrovariationen statt über lange, epische Breaks auf.
Wo kann man sich über das Format und die Kultur dahinter informieren?
Ein Blick in die Wikipedia-Artikel zu Boiler Room, Techno oder Clubkultur bietet einen guten Einstieg.
Faktisches
- Boiler Room ist ein globales Streaming-Format, das intime DJ-Sets und Live-Performances dokumentiert und online zugänglich macht.
- Das Glitch Festival findet auf Malta statt und hat sich zu einem Fixpunkt der europäischen Sommersaison entwickelt.
- Ben Sims ist seit den 1990er-Jahren eine prägende Figur der Techno-Szene und steht für schnellen, funkigen Groove statt steril-minimaler Strenge.
- Techno basiert häufig auf repetitiven Strukturen und dem Vier-zu-vier-Puls, wodurch lange Spannungsbögen und Tranceeffekte entstehen.
- Die Ästhetik vieler Techno-Tracks ist von klassischen Drumcomputern wie der Roland TR-909 beeinflusst.
- Boiler-Room-Sets zeichnen sich durch die Nähe zum Publikum aus – es gibt keine klare Trennung zwischen Bühne und Dancefloor.
- Malta bietet durch Klima und Architektur eine besondere Kulisse, die Open-Air-Sets akustisch und visuell prägt.
- Das Set von Ben Sims 2022 zeigt exemplarisch, wie modernes Beatmatching, EQ-Arbeit und Layering zusammenwirken, um kontinuierliche Energie zu liefern.
Kritische Analyse
So eindrucksvoll das Ergebnis ist, das Boiler-Room-Modell bringt auch Fragen mit sich. Erstens: die Kamera als Mitspieler. Was bedeutet es, wenn sich Performances zunehmend an der Linse orientieren? DJs reagieren unweigerlich auf die Präsenz der Kamera – mal durch extrovertiertes Gestikulieren, mal durch riskantere Übergänge. Das ist unterhaltsam, kann aber den Fokus vom reinen Klang zum Bild verschieben. Zweitens: die „ID-Kultur“. Sobald ein Set viral geht, beginnt die Jagd nach Tracklisten und „IDs“. Dieser Enthusiasmus ist schön, kann aber die Wahrnehmung verengen – anstatt dass der Fluss zählt, fixieren sich Debatten auf einzelne Drops. Drittens: die Frage der Repräsentation. Festivals und Streams haben die Macht zu kuratieren. Wie divers ist das Line-up? Wer bekommt die Primetime? Solche Entscheidungen prägen die Erzählung der Szene.
Viertens: der akustische Kompromiss von Open-Air-Settings. Draußen zu spielen ist großartig, aber Wind, Temperatur und Umgebung absorbieren Frequenzen anders als ein Club. Das setzt ausgezeichnetes Tuning und Monitoring voraus, damit die feinen Mikroentscheidungen – etwa bei der Höhenarbeit – im Publikum überhaupt ankommen. Fünftens: die Archivierung. Streams konservieren Momente, die früher flüchtig waren. Das ist ein Segen für Dokumentation, aber auch eine Herausforderung für die Aufführungspraxis: Ist ein Set, das für die Ewigkeit aufgezeichnet wird, noch so risikofreudig wie ein Club-Mitschnitt um 5 Uhr morgens? Das Ben-Sims-Set zeigt, dass beides möglich ist – kompromissloser Druck und hohe Wiedersehbarkeit –, doch diese Balance bleibt ein Spannungsfeld, das die elektronische Musikkultur in den kommenden Jahren weiter beschäftigen wird.
Fazit
Ben Sims’ Auftritt beim Boiler Room x Glitch Festival 2022 ist mehr als ein starkes Techno-Set. Er ist eine Momentaufnahme dessen, was die Clubkultur im 21. Jahrhundert ausmacht: globale Vernetzung, lokale Atmosphären, technisches Handwerk und die alchemistische Verwandlung von Rhythmus in Gemeinschaftsgefühl. Zwischen mediterranem Licht und maschinellem Groove entfaltet Sims eine Stunde mit ungebrochener Schubkraft, die ohne große Gesten auskommt und gerade deshalb so nachhaltig wirkt. Wer verstehen will, warum Techno weit über den Club hinaus fasziniert, findet hier eine exemplarische Antwort – eine, die man nicht nur hört, sondern am ganzen Körper spürt.
Quellen der Inspiration
- Boiler Room (music broadcaster) – Wikipedia
- Techno – Wikipedia
- Diskjockey – Wikipedia
- Clubkultur – Wikipedia
- Roland TR-909 – Wikipedia
- Beatmatching – Wikipedia
- Malta – Wikipedia
- Boiler Room – YouTube Channel
WICHTIG
Du solltest übrigens gerade weil die Künstler mit Streaming nicht gerade viel verdienen, sie am besten direkt unterstützen. Viele Künstler haben die Möglichkeit für Spenden. Mit dem Spendenbutton unter dem Video kannst du z.B. den Klubnetz Dresden e.V. unterstützen. Definitiv solltest Du Auftritte besuchen und wenn Du einen Plattespieler hast, kaufe die besten Tracks auf Vinyl!
































































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